HÖRERLEBNIS 32: Expertenmeinung


Klangunterschiede bei NF-Signalkabeln

von Diplom-Physiker Fred-M. Bülow

Bis 1993 hatte ich die allgemeine Diskussion über Klangunterschiede bei NF-Kabeln (bzw. auch Lautsprecherkabeln) als albernen Medienrummel abgetan, da ich bei Frequenzgangmessungen bei meinen verwendeten Kabeln keinen Unterschied messen konnte.
Da die Fragestellung aber bei meinen Kunden immer wieder auftauchte, machte ich mir damals die Mühe, eine große Anzahl unterschiedlicher Kabeltypen bei einer bestehenden Anlagenkette systematisch gegeneinander auszutauschen. Zu meinem Erstaunen mußte ich teilweise gravierende Unterschiede feststellen. Da ich wußte, wie problematisch psychoakustische (Selbst)-Hörversuche sind, wiederholte ich diesen Versuch über einen längeren Zeitraum bei Freunden, Bekannten und Kunden. Die klanglichen Beschreibungen der Probanden waren natürlich sehr unterschiedlich, aber es blieb die Tatsache bestehen, daß überhaupt Unterschiede auch von ungeübten Personen gehört wurden.
Experimentell war nun für mich bewiesen, daß erstens unterschiedliche Kabel unterschiedliche Höreindrücke bewirken, und daß zweitens die Frequenz- und Phasengangmessung die Frage nach dem „Warum“ nicht beantwortet. Diese Messung besagt nur, daß die Kabel, wie zu erwarten, im Audio-Frequenzbereich keine Filterwirkung haben, d.h., lineare Signalverzerrungen werden nicht erzeugt. Als Ursache für die Klangunterschiede bleiben daher nur noch nichtlineare Signalverzerrungen durch das Kabel selber, oder, durch den Anschluß eines Kabels, in den Audio-Schaltungen. Meßtechnisch kommt man aber jetzt „vom Regen in die Traufe“, denn die Verzerrungsmessungen sind problematischer und mehrdeutiger als eine reine Frequenzanalyse - und meines Erachtens ist die eindeutige Zuordnung von Meßergebnissen eines Klirranalysators und einem Höreindruck bis heute noch nicht gelungen, was die endlose Diskussion um die Klangunterschiede von z.B. Verstärkern (Röhre/Transistor usw.) zeigt. Bei meiner Entwicklungsarbeit mit Verstärkern bin ich daher indirekt vorgegangen: Statt einer Gesamt-Klirranalyse, habe ich versucht, die einzelnen Verzerrungsmechanismen in einer Schaltung zu isolieren, dann zu beseitigen oder zu schwächen, um so nach und nach eine klirrarme Schaltung aufzubauen.
Bei der Beschäftigung mit dem Kabelproblem bin ich gleichermaßen vorgegangen: Wie ist ein Kabel aufgebaut, welche Komponenten können überhaupt nichtlineares Verhalten haben und welche Kabeleigenschaften können eine angeschlossene Audioschaltung negativ beeinflussen? Zunächst einmal besteht ein Kabel aus mindestens zwei ohmschen Leitern mit ihrer Leitungsinduktivität, in der Regel gibt es einen Schirm (bei den Koaxialkabeln ist der Schirm gleichzeitig der Rückleiter) und alle Leiter sind durch ein Dielektrikum voneinander isoliert. Weiterhin ist zwischen den Leitern, bzw. zwischen Leitern und Schirm, eine Kapazität meßbar. Mit anderen Worten ist ein Kabel nichts weiter als ein passiver Kettenleiter, und auf den ersten Blick sind keine nichtlinearen Mechanismen, wie z.B. in Halbleitern, erkennbar.
Wenn wir also für den Anfang davon ausgehen, daß das Kabel physikalisch das macht, was es machen soll, so bleibt als mögliche Ursache für Signalverzerrungen nur eine negative Wirkung des Kabels auf die angeschlossene Schaltung: Die entscheidende Komponente ist dabei die Kabelkapazität! Um die Auswirkung dieser Kapazität auf die Schaltung besser verstehen zu können, ist leider ein kleiner Exkurs in die Verstärkertechnik nötig: In den meisten Audiogeräten findet man mehrstufige, gegengekoppelte Verstärker vor, in der Regel als integrierte OpAmps (Operationsverstärker) ausgeführt. Durch die Gegenkoppelung von Ausgang und Eingang dieser Verstärker wird ihr nichtlineares Verhalten stark verbessert. Leider wird bei hohen Frequenzen durch parasitäre Kapazitäten aus der Gegenkoppelung eine Mitkoppelung, was dazu führt, daß ein Verstärker sich selbst zum Schwingen anregt. Durch geeignete Schaltungsmaßnahmen muß dafür gesorgt werden, daß im normalen Betrieb diese Selbstanregung nicht stattfindet. Man kann daher aber sagen, daß alle mehrstufigen Verstärker nur bedingt stabil sind. Stellt nun solch ein OpAmp die Ausgangsstufe eines Gerätes dar, so wird durch den Anschluß eines Kabels an seinen Ausgang dieser OpAmp kapazitiv belastet, d.h., der Ausgang ist über die Kabelkapazität mit der Gerätemasse verbunden. Das Ausgangssignal wird nun durch die Kabelkapazität leicht in der Phasenlage verschoben, sodaß die Stabilitätsbedingungen eventuell nicht mehr erfüllt sind. Das Ergebnis ist, daß der OpAmp entweder voll schwingt, oder je nach Signalform gedämpfte Schwingungen im HF-Bereich ausführt. Im ersten Falle ist die Auswirkung des Kabels sofort hörbar, da eine Signalverarbeitung nicht mehr stattfindet und der Verstärker nur noch merkwürdige Geräusche von sich gibt. Im Grunde viel ärgerlicher ist aber der zweite Fall, da die Auswirkungen auf den Höreindruck je nach Stärke des Effektes sehr vielfältig sind: Möglicherweise sind z.B. /S/-Töne verzischt, oder bei Stereowiedergabe ändert sich der Räumlichkeitseindruck ständig, d.h., das Klangbild bleibt nicht stabil, oder es klirrt einfach wie bei einer Endstufe mit zu geringem Ruhestrom (Übernahmeverzerrungen). Auf jeden Fall ist dieser Effekt schon alleine eine Erklärung für die vielfältigen Klangbeschreibungen von Kabeltestern. Das Gute ist aber, daß dieser Effekt leicht mit einem Oszilloskop meßbar ist: Man kann die HF-Bursts an z.B. steilen Signalflanken sehr gut sehen.
Die Schwinganregung einer Ausgangsstufe ist aber nicht der einzige negative Effekt der Kabelkapazität. Dazu muß man wissen, daß die gängigen OpAmps im Grunde nur Spannungsverstärker sind, d.h., sie können nur einen geringen Ausgangsstrom liefern. Je nach OpAmp-Typ stellt ein Lastwiderstand von 2000 Ohm oder 600 Ohm schon die Untergrenze dar. Weiter oben hatte ich gesagt, daß der OpAmp-Ausgang über die Kabelkapazität mit Masse verbunden ist. Da der Blindwiderstand (die Impedanz) eines Kondensators mit steigender Frequenz abnimmt, und damit der Blindstrom (die Lade- und Entladeströme) zunimmt, ist der OpAmp-Ausgang für hohe Frequenzen sozusagen kurzgeschlossen und die nichtlinearen Verzerrungen nehmen bei hohen Frequenzen zu. Einige OpAmps haben integrierte Strombegrenzungsschaltungen, die bei zu hohem Ausgangsstrom die Signalamplitude drastisch zurücknehmen, was nichts anderes ist als eine harte Signalbegrenzung (Clipping) und sich auch so anhört. Nicht umsonst wird im Studiobereich eine Stromlieferfähigkeit von 250 mA für Kabeltreiberstufen gefordert. Wie im Schwingungsfalle ist das Clippen eines OpAmps eindeutig hör- und identifizierbar. In dem Falle, wo aber der OpAmp nur in geringem Maße Obertöne erzeugt, mag der Hörer dieses Kabel vielleicht als brilliant oder sogar klar beschreiben, denn es ist schon sehr schwierig, echte Obertöne von künstlichen zu unterscheiden.
Das Ganze wird aber noch etwas komplexer, wenn wir jetzt noch den Einfluß der Kabelinduktivität mit berücksichtigen: Das Induktionsgesetz besagt, daß ein sich ändernder Strom (Wechselstrom) ständig um einen Leiter herum ein Magnetfeld auf- und abbaut, dieses sich ändernde Magnetfeld im Leiter aber wiederum eine Spannung induziert. Die Polarität dieser Spannung ist dabei immer entgegen der verursachenden Spannung gerichtet. Diese Gegenspannung ist also dem Nutzsignal überlagert und müßte eigentlich vom treibenden Verstärker (OpAmp) kurzgeschlossen werden, oder, mit anderen Worten, muß der Innenwiderstand der Quelle gleich Null sein. Bedingt durch die begrenzte Stromliefer- und Stromaufnahmefähigkeit ist der Innenwiderstand der meisten Verstärker natürlich nicht Null, und zu allem Überfluß auch noch frequenzabhängig, d.h., er ist umso größer, je höher die Signalfrequenz ist.
Um die gemeinsame Rückwirkung von Kabelkapazität und -induktivität auf eine angeschlossene Ausgangsstufe etwas anschaulicher zu machen, ist noch einmal ein Verstärkerexkurs nötig: Ein Verstärker soll in jedem Zeitpunkt das Eingangssignal multipliziert mit seinem Verstärkungsfaktor an seinem Ausgang darstellen. Dafür besitzen die meisten Verstärker eine „Vergleichs“-Stufe, die ständig die Ausgangsspannung überwacht und bei Abweichungen von der Sollspannung den Verstärker nachregelt. Dieses Regelverhalten ist aber bei einem realen Verstärker weder unendlich schnell, noch unendlich genau. Weiter wird der Regelbereich durch die Höhe der Versorgungsspannung(en) und durch die Strombelastungsgrenzen der Bauteile eingeengt. Stößt der Regelmechanismus an seine Grenzen, so spricht man von Übersteuerung des Verstärkers, mit starken Signalverzerrungen als Folge. Auch im anderen Falle ist immer eine Fehlerspannung meßbar, die in der Regel als Klirrfaktor angegeben wird. Ist der Ausgang des Verstärkers mit einem genügend großen und rein ohmschen Lastwiderstand abgeschlossen, so ist die Fehlerspannung hier am kleinsten. Ist der Ausgang aber noch mit einem Kabel belastet, so wird die Ausgangsspannung in jedem Zeitpunkt durch die sich ständig ändernden Lade/Entladeströme und Induktionsspannungen verändert. Diese Modulation des Ausgangssignals durch das Kabel wird durch das endliche Regelverhalten des Verstärkers nur teilweise wieder ausgeglichen, mit dem Ergebnis, daß die Fehlerspannung größer wird, als im rein ohmschen Falle.
Da zwischen den kapazitiven und induktiven Rückwirkungen frequenzabhängige Phasenbeziehungen bestehen, kann man sich weiterhin veranschaulichen, daß es einen Frequenzbereich gibt, in dem sich beide Wirkungen verstärken. Das heißt, die Fehlerspannung ist frequenzabhängig und hat in einem bestimmten Bereich ein Maximum. Die Firma STRAIGHT WIRE spricht dabei von der „kritischen“ Frequenz, um Kabeleigenschaften mit subjektiven Höreindrücken in Beziehung zu setzen. Je nach dem, wo diese kritische Frequenz im Audiobereich liegt, kann man von einem baß-, mitten- oder höhenlastigen Kabel sprechen. Diese Klassifizierung ist natürlich nicht ganz richtig, da die Fehlerspannung ja nicht im Kabel, sondern in der treibenden Ausgangsstufe erzeugt wird, und somit auch abhängig vom Verstärkertyp ist. Aber da man besonders im Konsumbereich fast immer die gleichen OpAmp-Typen vorfindet, ist diese grobe Einteilung nicht ganz abwegig. Jedenfalls fordert diese Firma, daß die kritische Frequenz eines Kabels oberhalb des Audiobereiches liegen soll, was aber wiederum nichts anderes bedeutet, als daß die Kapazität und die Induktivität eines optimalen Kabels möglichst klein sein sollen.
Wie ich aber bei meinen Hörversuchen feststellen mußte, reicht die Forderung nach kleinen Kapazitäts- und Induktivitätswerten für einen ungetrübten „Hörgenuß“ noch nicht aus, da es noch einen weiteren Rückwirkungseffekt gibt. Weiter oben hatte ich gesagt, daß wir erst einmal davon ausgehen, daß ein Kabel selbst kein nichtlinearen Verhalten hat. Diese Annahme ist aber falsch: Der Grund ist die „dielektrische Absorption“ im Isolatormaterial des Kabels. Dieser Effekt ist in der Kondensatortechnik bekannt und wird folgendermaßen gemessen: Zuerst wird der Kondensator mit einer definierten Spannung geladen und dann kurzgeschlossen. Sofort nach Öffnung des Kurzschlusses kann an seinen Anschlußklemmen eine Spannung gemessen werden. Die Ursache für diese Spannung ist die Polarisierung bzw. Depolarisierung der Moleküle im Dielektrikum, das sich zwischen den Kondensatorplatten befindet. Durch das angelegte elektrische Feld werden alle Moleküle, die elektrische Dipole darstellen, etwas ausgerichtet. Fällt das äußere Feld weg, so kehren sie in ihre ursprüngliche Position zurück, wobei aber ja wieder eine Ladungsverschiebung stattfindet, die als Spannung meßbar ist. Bei einem idealen Kondensator (zwei Platten im Vakuum) tritt dieser Effekt natürlich nicht auf. Mit Ausnahme der alten (Luft)-Drehkondensatoren haben alle Kondensatoren ein entweder flüssiges (Elektrolyt) oder festes (Kunststoff, Keramik) Dielektrikum und zeigen je nach Material diesen Effekt verschieden stark ausgeprägt.
Dieser sogenannte Speichereffekt sollte weder bei Kondensatoren noch bei Kabeln, die baulich einen langgezogenen Kondensator darstellen, unterschätzt werden. Bleiben wir beim Kabel: Das elektrische Nutzsignal polarisiert und depolarisiert ständig die Moleküle im Isolator zwischen den Leitern, bzw. zwischen Leitern und Schirm. Da es sich immer um feste Kunststoffmaterialien handelt, bedeutet diese Polarisierung nichts anderes als eine Materialverformung im Takte des Nutzsignals. Bei hohen Pegeln und hohen Frequenzen können diese Verformungen sogar gehört werden, d.h., das Kabel strahlt Schallenergie ab. Diese Energie wird zwangsläufig dem Nutzsignal entzogen und muß von der Kabeltreiberstufe nachgeliefert werden. Ihr Ausgangssignal wird daher zusätzlich moduliert. Erstens müssen für jede Polarisierung Strom und und Spannung erhöht werden, und zweitens muß die nach jedem Signalnulldurchgang auftauchende Speicherspannung kurzgeschlossen werden. Je nach Isolatormaterial ist die Stärke dieser Spannung etwa ein hundertstel bis zehntausendstel der Nutzsignalspannung, oder anders gesagt, liegt der Pegel dieses Störsignals 40 - 80 dB unter dem Nutzsignalpegel. Dabei ist aber zu beachten, daß das Störsignal zeitlich verzögert zum Nutzsignal auftaucht, d.h., der Übergang von lauten zu leisen Musikpassagen kann durch diesen Speichereffekt deutlich „verschmiert“ werden.
Zusammenfassend kann man sagen, daß beim Verbinden von Audio-Komponenten, sofern das „Quell- oder Sendegerät“ eine elektronische Verstärkerschaltung als Ausgangsstufe enthält (z.B. auch ein Kondensatormikrophon mit FET-Impedanzwandler) das benutzte Kabel mit seinen aufgezählten Rückwirkungen das nichtlineare Verhalten dieser Ausgangsstufe bis hin zur Schwinganregung verschlechtert, wobei die hörbare Auswirkung je nach Kabeltyp (-> Kabelparameter) und Verstärkertyp unterschiedlich sein können. Als hochwertig läßt sich ein Kabel beschreiben, wenn es in diesem Zusammenhang eine sehr geringe Kapazität und Induktivität hat sowie ein Isolatormaterial besitzt, das nur sehr geringe Absorptionseffekte zeigt.
Der Vollständigkeit halber sollen aber noch kurz all’ die Fälle betrachtet werden, wo die „Quell-Komponente“ kein elektronisches Gerät darstellt, sondern ein hochohmiges, hochinduktives Wandlerelement, wie z.B. Tonabnehmer von E-Gitarren und E-Bässen, Plattenspielerabtastern (hier besonders die MM-Typen) und dynamischen Mikrophonen: Hier provoziert das angeschlossene Kabel keine zusätzlichen nichtlinearen Verzerrungen, aber erstens werden mögliche Absorptionseffekte im Kabel von der „Quelle“ nicht bedämpft, und zweitens, was noch viel wichtiger ist, bildet in allen Fällen die Kabelkapazität mit der Eigeninduktivität der Wandlerbausteine einen nur gering bedämpften Schwingkreis, d.h., hier tritt wirklich eine leicht meßbare und unter Umständen stark hörbare Filterwirkung auf, da im Bereich der Resonanzfrequenz eine Frequenzgangüberhöhung und eine Phasendrehung auftritt. Sofern diese Resonanzfrequenz im Audiofrequenzbereich liegt, mag dieser Effekt bei Gitarren noch als „Soundeffekt“ hingenommen werden, aber besonders bei Plattenspielerabtastern kann dies zu lästigen bis ärgerlichen Klangveränderungen führen. Auch hier daher wieder die Forderung nach geringen Kabelkapazitäten, damit eventuelle Resonanzfrequenzen weit oberhalb des Audiobereiches liegen.

FMB