HÖRERLEBNIS 39


Röhrenendstufe: Air Tight ATM-300

Japanische Erleuchtung

von Wolfgang Vogel

Aufgefallen ist sie mir erst bei der letztjährigen High End in Neu-Isenburg, die 300 B-Stereoendstufe des japanischen Herstellers Air Tight. Es war nämlich die für meine Begriffe wohl gelungenste Messevorführung, die mir da zu Ohren kam. Da sich sowohl der dort anwesende Schöpfer des hierzulande nur in homöopathischen Dosen anzutreffenden Röhrenendverstärkers als auch der hiesige Vertrieb meinem Ansinnen bezüglich eines Berichts aufgeschlossen zeigten, konnte ich also abermals meinem seit einiger Zeit ausgebrochenen “Röhrenfieber” frönen...
Über die Qualität des mechanischen Aufbaus gibt es erwartungsgemäß nichts Negatives zu sagen - alles ist so, wie ich es von einer Endstufe der oberen Preisklasse (immerhin kostet die ATM-300 erkleckliche 15.500,- DM) erwarte - nämlich top.
Optisch hat die ATM-300 allein durch die eigenwillige Farbe ihrer Frontplatte (eine Farbe, die sich als grün-blau-grau-Mischung in gebürstetem Metall beschreiben läßt - sehr elegant...) einen “Hingucker”-Effekt. Das integrierte (und bei Benutzung auch beleuchtete) analoge Anzeigeinstrument, das eine Kontrolle des korrekten - automatisch eingestellten - BIAS für den rechten und linken Kanal ermöglicht, trägt dazu sicher auch bei. Ebenso die verchromten Sockeleinfassungen für die serienmäßigen Western Electric 300 B-Röhren. Eine gut designte Endstufe auf jeden Fall. Was auch für den Innenaufbau gilt: Vishay-Widerstände, WBT-Terminals, Tamura-Trafos, und, und, und... Nahezu alles, was des Bauteilefreaks’ Herz erfreut, ist vorhanden. Damit wären wir schon mitten drin in der...

Technik
Die Röhrenbestückung (mit 2x 12-AU7 (ECC 82), 2x12BH7, einer 5U4G und den bereits erwähnten WE 300 B) läßt bereits in der “Grundausstattung” Gutes erwarten. Daher habe ich meine Hörzeit zumeist mit dieser Konfiguration verbracht. Dennoch habe ich natürlich einiges ausprobiert. Doch dazu später mehr. Angegeben ist diese Endstufe mit gigantischen 2x8 Watt... Hochwirkungsgradlautsprecher sind also vonnöten. Mit meinem Escape-System gab es da keinerlei Probleme - aber auch 91 bis 92 dB/W/m sollten genügen.
Eine Anpassung auf den verwendeten Lautsprecher ist durch die Einstellung der Gegenkopplung möglich (in drei Stufen). Ich bevorzugte im Zusammenspiel mit den Escape die Stellung 1, ohne Gegenkopplung. Stufe 2 bietet 4 dB, Stufe 3 als Maximum 6 dB Gegenkopplung an - somit sollten auch Lautsprecher, deren Chassis etwas mehr verstärkerseitige Kontrolle benötigen, mit der Air Tight harmonieren.
Eine weitere gebotene Möglichkeit ist der Einsatz dieses Endstufenkonzeptes als Quasi-Vollverstärker. Dank der separaten Gain-Regler für rechten und linken Kanal ließe sich mit der ATM-300, Lautsprechern und einer singulären Signalquelle eine minimalistische Kette auf höchstem Niveau zusammenstellen. Doch nun endlich zur...

Musik
So, als erstes gönne ich mir nach der Verkabelung der Endstufe ein tolles Stück von Iggy Pop: “The Passenger” (“Lust For Life”, Virgin America 0777 7 86153 2 3). Dynamisch, treibend, eine markante
Stimme - ja, so kenne ich das. Wunderbar. Stimme - das führt mich schon nahezu zwangsläufig zunächst zu Chely Wright. Ich weiß zwar nicht genau, was es ist - aber diese Frau aus Kansas hat etwas Faszinierendes im Ausdruck. Ob sie die Geschichte von “Emma Jean’s Guitar” erzählt oder fordert “Let Me In” (beides zu finden auf “Let Me In”, MCA Nashville MCD-70003, erschienen 1997) - immer versteht sie es, mich in die Musik förmlich hineinzuziehen. Eine Kunst, die auch im New Country-Bereich nur wenige Interpretinnen und Interpreten beherrschen.
Zu diesen wenigen gehört auch Jo Dee Messina. Die rothaarige Sängerin verkörpert das Klischee des feuerköpfigen Energiebündels geradezu perfekt. Ja, sie spielt sogar damit (...siehe das Cover des aktuellen Albums “Burn”, 2000 bei CURB Records veröffentlicht unter D2-77977)!
Musikalisch beherrscht sie mit ihrer markanten Stimme von eindringlichen Balladen a la “Bring On The Rain” (Duett mit Tim McGraw) bis hin zu beschwingten Nummern wie “Dare To Dream” oder “Saturday Night” das gesamte Spektrum.
Anhand dieser beiden verschiedenen Frauenstimmen läßt sich bereits die Aussage treffen, daß die Air Tight ATM-300 die klassische Schokoladenseite der single ended Trioden (SET) und insbesondere der 300 B aufweist. Schöne Stimmen klingen auch dementsprechend “untechnisch” schön.
Allerdings sind Frauenstimmen ja nur die Hälfte der (stimmlichen) Wahrheit.
Als männliche Gegenstücke zu vorgenannten Ladies dienen mir folglich Chris LeDoux (“Whatcha Gonna Do With A Cowboy”, 1992, Liberty Records CDP-7-98818-2) und Alan Jackson (“When Somebody Loves You”, 2000, ARISTA Nashville 07863 69335 2). Beide ebenfalls mit markanten “Voices” ausgestattet und von hoher Ausdruckskraft. Erstgenannter versteht es vorzüglich, Stimmungen zu vermitteln, so etwa im Opener “Call Of The Wild”, in “I’m Ready If You’re Willing” (...kein schlechter Spruch übrigens...) oder bei der Beschreibung der “Cadillac Ranch”. Jedenfalls weiß nach dem Hören letzteren Titels jeder, wie ein erfolgreiches Honky-Tonk-Lokal entsteht... Yeehaa!
Alan Jackson ist auf seinem neuesten Album wieder zu seinen Wurzeln zurückgekehrt: “Wunderschöne Balladen (When Somebody Loves You”, “www.memory”) wechseln sich mit beschwingten Nummern (“The Thrill Is Back”, “Where I Come From”) ab bis zum fröhlichen “Rausschmeißer” der CD (“Three Minute Positive Not Too Country Up-tempo Love Song” - der heißt wirklich so...). Dies alles mit seiner charakteristischen Stimme und dem für ihn typischen Stil ergibt eine Scheibe, die ich mir zum Entspannen immer wieder mal anhöre. Und die ATM-300 scheint sich wohlzufühlen mit dieser Musik. Alles klingt entspannt, unangestrengt ... doch scheint da nicht im unteren Baßbereich eine kleine Unsauberkeit zu sein? Egal - das wird später noch überprüft. Lieber noch etwas Musik genießen...
Auf der anderen Seite des großen Teiches, genauer: in Darmstadt, sind Paddy Goes To Holyhead zuhause. Die aus meiner Sicht bis heute gelungenste Scheibe der “irischsten Band Deutschlands” ist das 1994 erschienene “Ready for Paddy?” (Holyhead Records 280-362PGTH03). Ob beschwingt wie im Opener “Bound Around”, wütend (“Shirinovski”) einfach fröhlich (“Seldom Sober”) oder gar mit Reggae-Feeling (“Red Rasta”) - immer macht es mir Spaß, der Band zuzuhören. Hier musiziert ganz offensichtlich jemand mit viel Freude. Was auch hörbar ist. Zumindest in guten Ketten. Der Air Tight fällt es überhaupt nicht schwer, diese Stimmungen zu transmittieren.
Stimmungen - das bringt mich zu Hubert von Goisern’s “INEXIL TIBET” (1998, BMG Ariola Austria 74-321 579012). Dieses in seiner Komplexität wieder sehr einfache, weil gesamtheitliche Werk macht es schwer, sich auf Details zu konzentrieren, da das jeweilige Gesamtbild im Vordergrund steht. Umso mehr fällt aber jede noch so kleine Unstimmigkeit auf, da dann eine Farbe, eine Schattierung verändert wird. Diese Problematik bewältigt die ATM-300 sehr gut, auch wenn sie mit den Obertönen im ersten Titel der Scheibe noch etwas weniger spröde umgehen könnte.
Da ich gerade beim Beckmessern bin: Was war nun mit dem Baßbereich? Zu diesem Zweck habe ich dann doch für einige Tage die outsider “Experience” eines Freundes angeschlossen, da sie mir hier als Vollbereichswandler besser zur korrekten Meinungsbildung geeignet schien als mein Sub-Sat-System.
Und tatsächlich hatte ich beim Allegro des “Gewitter, Sturm”-Satzes der “Pstorale” von Ludwig van Beethoven (mit Gardiner und dem Orchestre Revolutionnaire et Romantique, DG ARCHIV 31 786 7, erschienen 1994) das Gefühl, daß da etwas mehr an Präzision, an “Zug” im unteren Baß sein müßte. Wobei ich zu bedenken geben möchte, auf welch’ hohem Niveau sich diese Endstufe bereits bewegt...
Die ohrenfälligsten Unterschiede bestanden nicht etwa zwischen den Varianten der 300 B, wie man zunächst hätte vermuten können. Nein, die Divergenz zwischen verschiedenen Gleichrichterröhren war viel ausgeprägter! Beispielhaft seien nur einmal die (mir vom Vertrieb als Leihgabe freundlicherweise zur Verfügung gestellten) anstelle der serienmäßigen 5U4G einsetzbaren Typen 5Y3 und GZ34 genannt. Alle drei lieferten unterschiedliche Klangbilder ab. So wirkte die Endstufe mit der 5U4G irgendwie “300 B-typischer” als mit der 5Y3 oder gar der GZ34 (die die ATM-300 ein strafferes, weniger mittenbezogenes Bild zeichnen ließ). Was man bevorzugt, bleibt jedem Hörer selbst überlassen - aber ein Ausprobieren ist unbedingt anzuraten.
Fazit: Die Air Tight ATM-300 ist eine jener Endstufen, deren Besitzer nach dem Erwerb höchstens noch an den Zukauf der einen oder anderen Röhre, nicht aber an den Austausch ihrer Endstufe denken. In Kombination mit geeigneten Lautsprechern vermag sie die ganze Magie einer 300 B-Endstufe zu entfalten, wobei sie das Klanggeschehen stets vom Mitteltonbereich her aufbaut. Sonisch betrachtet (!) wird das Geschehen dabei förmlich um den Stimmbereich gruppiert, ohne dabei je unstimmig zu wirken; darüber hinaus ist sie in der Lage, die Unterschiede verschiedener 300 B’s (wie der mitgelieferten Western Electric zu etwa einer von JJ Electronics) ebenso aufzuzeigen wie die klanglichen Varianzen zwischen einer 5U4G-Gleichrichterröhre (Serie) und einer GZ 34 oder einer 5Y3. Dies ermöglicht dem Eigner eine Abstimmung des Klanges innerhalb gewisser Grenzen durch einfachen Röhrentausch - gerade so, wie es der echte Röhrenfan liebt. Der Weg ist das Ziel - Sie verstehen... Nehmen Sie dazu noch das eigenständige Design, die einwandfreie Verarbeitung und das (durchaus auch visuelle) Vergnügen, das der Besitz einer solchen Endstufe bereitet und Sie werden verstehen, warum ich die Air Tight dem Kreis der “Aussteiger”-Komponenten zurechne...

WV

Produkt:
Röhrenendstufe Air Tight ATM 300
Abmessungen (BxHxT): 43cm x 45cm x 27,5cm
Gewicht: 23 kg
Preis: 7.925 €
Vertrieb: AXISS Deutschland, Hamburger Straße 82, D-63073 Offenbach, Tel.: 069/559335, Fax: 069/5961897, E-Mail: ingmar.drews@t-online.de

gehört mit:
Plattenspielerlaufwerk: Luxman PD 310;
Tonarm: Fidelity Research FR 64 S;
Tonabnehmer: Audio Technica AT OC 10, Ortofon SPU Meister;
CD-Laufwerk: Wadia 8; Digital Link / Interface: Wadia DIGILINK 40;
DA-Wandler: Wadia 64/4;
Vorverstärker (mit Phono): Paragon 12A (neue Elkos und NOS-Röhrenbestückung; in den Originalzustand zurückversetzt vom outsider-team);
Endverstärker: Golden Tube SE 300B II mit Vaic (VV 30 B)-Endröhren, sonst NOS-Bestückung;
Lautsprecher: Outsider Escape, Outsider Experience;
Kabel: Ortofon 8N (Phono, NF und LS), SunWire (Digitalkabel - symmetrisch und asymmetrisch), Wadia ST-optisch;