Messebericht: High End 2000


“Erwartungen”

von Wolfgang Vogel

Allgemeines
Darüber, daß die alljährlich im Gravenbrucher Kempinski stattfindende Messe einen Spiegel dieser Industrie darstellt, herrscht wohl kein Zweifel. Ich will nun versuchen, aus all' den Eindrücken, die sich während der vier Tage von 1. bis zum 4. Juni anno 2000 bei mir angesammelt haben, einige Facetten der Messe herauszupicken und daraus wie aus Mosaiksteinchen eine Art Bild dieser Tage - und damit der gesamten High End-Szenerie - zu formen.
Doch wo fang' ich am besten an? Vielleicht bei den Erwartungen, die an die Systemdebatte SACD/DVD-A geknüpft werden. Immerhin wurde dieses Thema auch auf der Pressekonferenz der High End Society beleuchtet. Aber leider muß das Fazit bislang lauten: Nichts Genaues weiß man nicht... Denn: Zu einem echten Streitgespräch kam es nicht - und aus der Aussage, daß erst einmal beide Systeme eine Weile auf dem Markt sein sollten, damit der Konsument letztlich entscheiden kann, was er möchte, läßt sich für meine Begriffe schlichtweg nichts ableiten. Außer vielleicht der Frage, die sich mir bereits während der Diskussion aufdrängte: Was wäre, wenn der Sieger im Wettstreit ‚SACD vs. DVD-A' schließlich und endlich ... VINYL heißt? Immerhin sind die wenigen noch existierenden Preßwerke offenbar voll ausgelastet und müssen keineswegs verzweifelt um Aufträge kämpfen und bangen. Abgesehen davon: Gab es nicht vor einigen Jahren in Sachen Compact-Cassetten-Nachfolge so etwas wie die (inzwischen völlig in Vergessenheit geratene) Debatte ‚DCC vs. Mini Disc' ?
Analoges
Abseits von solch' grundlegenden Gedanken ist der Trend zur ‚Wiederauferstehung' der LP ungebrochen. So erfreuen sich die Drehwerke von Jochen Räke (Transrotor) eines ebenso ungebrochenen Interesses wie die von Acoustic Solid, Rega (mit "modellgepflegtem" Planar 3!) oder Kuzma, um nur einige zu nennen.
Es ist aber auch beeindruckend, wie beispielsweise das in der Nobelklasse angesiedelte, edle Pluto-Laufwerk samt Tonarm des gleichen Herstellers Musik wiederzugeben in der Lage ist. Noch mehr Eindruck von seiner optischen Erscheinung her macht das "La Luce" von SPJ (Benno Salgert HiFi Vertrieb) - aber ich gebe zu: putzen möchte ich es nicht müssen...!
Deutlich preisgünstiger (und auch um einiges pflegeleichter) als die vorgenannten Laufwerke ist da schon der Plattenspieler von DNM Reson, der mit seinem Gestell zur Aufstellung einen eigenwilligen Ansatz verkörpert. Nicht zu vergessen die moderat ausgepreisten Plattendreher von Thorens, die schon manchen auf den analogen Geschmack gebracht haben - und ohne die mancher Musikfreund, dessen Vorname nicht DAGOBERT lautet, sich sein Hobby "LP" nicht (mehr) leisten könnte.
Auch im Ballsaal herrschte besonders bei den Schallplatten ein reger Andrang. Schallplattenwaschmaschinen waren überraschenderweise ebenfalls ein Thema, das offenbar große Anziehungskraft besaß - eine größere jedenfalls, als ich es erwartet hätte. Nur eines macht mich bei dieser insgesamt erfreulichen Entwicklung doch sehr nachdenklich: Die enorme Preisentwicklung im Segment der Tonabnehmer. Muß ein solches (Verschleiß-)Teil wirklich 7000,- DM, 10.000,- DM oder gar fast 20.000,- DM kosten? Wie lange dauert es wohl noch, bis der erste Tonabnehmer mit Edelsteingehäuse im Brilliantschliff, der nach dem Ende seiner Laufbahn zumindest noch als Halsschmuck der Gattin/Freundin des stolzen Besitzers dienen kann (eine passende Gold- oder wahlweise Platinkette ist im Lieferumfang selbstverständlich enthalten), am Markt ist?
Verstehen Sie mich nicht falsch. Nichts gegen Forschung und Entwicklung in diesem Bereich, die sicher ihren Preis haben - aber nicht nur die ‚Besserverdienenden' hören gern analog!
Erfreulich sind da beispielsweise die Bemühungen von Herstellern wie Ortofon, Audio Technica, Grado oder auch Benz, die nicht ausschließlich im Hoch- und Höchstpreissegment ihre Klientel suchen. Sicher, da wären auch noch die "Vollsortimenter" Clearaudio und Van den Hul, die allerdings in letzter Zeit ebenfalls eine Verschiebung in Richtung "besser = teurer" vorzunehmen scheinen; d.h., es finden sich immer mehr teure und extrem teure Tonabnehmer in der jeweiligen Produktpalette. Schade.
Tonarme sind heutzutage ohnehin weitgehend nur noch im oberen Marktsegment anzutreffen. Aber dort finden sich vom extrem filigranen Graham-Arm über die klassischen (SPU-geeigneten) Ortofon-Modelle 212 bzw. 309 und den tangentialen Souther bis zu High Tech Produkten von Wilson Benesch alle möglichen Varianten.
Gut, daß es noch Rega gibt, sonst wäre das untere Preissegment ziemlich verwaist.
Erfreuliches
Eine ganz besondere Vorführung fand mehrfach täglich im Raum von Klimo/CD Konzertmöbel statt. Wer wollte, konnte sich den Vergleich Masterband/LP/CD anhören - ein durchaus lohnendes Experiment mit klaren Ergebnissen, das zudem interessante Aufschlüsse auf die menschliche Psyche zuläßt... (Hilfe!). Die analoge Wiedergabekette erlaubte jedenfalls eine der besten Vorführungen, die mir in diesem Jahr zu Ohren kamen.
Ebenfalls gut und musikalisch klang es bei Symphonic Line, wo es einige neue Geräte zu bewundern gab. Auch die Vorführungen bei Brinkmann, Tessendorf (TE Audiosysteme), Strohmetz (StSt), Phonosophie, Lua und einigen anderen Ausstellern zeigten, daß es durchaus möglich ist, unter den gegebenen Verhältnissen ein ansprechendes Klangbild zu realisieren.
Digitales
Auf der anderen Seite des Frontends sind natürlich die digitalen Quellen zu sehen. Hierbei möchte ich mich auf die ‚konventionellen' Bereiche der CD-Laufwerke und -Player konzentrieren (Grund? Siehe oben!).
Das optisch am gelungensten gestaltete CD-Abspielgerät war für mich das ‚Mephisto II'-Laufwerk von Audiomeca. Das wunderschön gestaltete Teil im Vertrieb des High Fidelity Studio Jakob & Kaczmarek hat außer seiner attraktiven Hülle zudem eine technische Besonderheit aufzuweisen: Ein von Pierre Lurné selbst entwickelter Laufwerksblock findet hier erstmals Verwendung. Der erste klangliche Eindruck (selbst mit dem von mir mitgebrachten, höchst unaudiophilen Musikmaterial) war denn auch sehr vielversprechend...
Weiterhin bemerkenswert:
Bei Phonosophie gab es die Modelle der Impuls-Serie zu hören, die natürlich, der Hansen'schen Philosophie folgend, auf Dynamik gezüchtet wurden. Langweilig, das steht fest, klingen sie jedenfalls allesamt nicht - was Wunder!
Die neue FMJ-Serie von Arcam wußte durch einen gelungenen Auftritt für sich einzunehmen. Daß die preisgünstigeren Komponenten des Hauses bald ebenfalls in aufgefrischter Form aufgelegt werden, verspricht immerhin einiges.
Nicht zu vergessen der neue CD-Player "001" von Burmester, der von seinen separaten Verwandten wie 969 und 970 außer dem Finish auch eine Menge an technischen Detaillösungen und musikalischen Fähigkeiten geerbt haben soll.
Vielversprechend zu sein scheint auch der röhrenbestückte CD-Player von Tube Technology (vertrieben von Expolinear) mit dem schönen Namen "Fusion".
Verstärkermäßiges
Auf dem Vorstufen-Sektor gab es etliche neue Produkte zu sehen und zu hören; am faszinierendsten wirkte auf mich trotz oder auch gerade wegen der schlichten äußeren Gestaltung die Convergent Audio Technologies-Vorstufe CAT SL 1 Ultimate (im Vertrieb von Bold). Klanglich wirkte der Röhrenpreamp aus den USA (er ist nach wie vor auch mit eingebauter Phonostufe zu haben!) im Verbund mit den hauseigenen, riesigen Röhrenmonos sehr musikalisch und hochauflösend; dabei fehlt ihr marketingseitig hierzulande sicher etwas von dem Glamour und Ballyhoo, das um andere Produkte gemacht wird - aber gerade das mag ich. Es handelt sich hier um eines der wenigen Luxusprodukte, mit denen ich mich gern etwas näher beschäftigen würde/ werde.
Auffallend musikalisch ging's ebenfalls im Raum von Adagio zu. Die dänischen Gamut-Verstärker machten in Kombination mit den finnischen Gradient-Lautsprechern (ja, das sind genau die, die den ultimativen Subwoofer für den Quad ESL 63 bauen) richtig gut Musik - u.a., passenderweise, von Sibelius.
Bei Connect Audio hingegen erweckten die Vorstufen von Balanced Audio Technologies (BAT) mit der sogenannten "Super Tube" 6H30 sowie die nicht gerade winzigen Endstufenboliden desselben Herstellers Interesse.
Die optisch wohl eigenwilligste Endstufenkonstruktion war hingegen bei Cadence zu bestaunen. Die "Canasya" ist eine Hybridendstufe mit je zwei 845-er Trioden pro Kanal; sie soll 2oo Watt pro Kanal an 6 Ohm leisten und sieht zumindest ebenso eigen aus wie die inzwischen schon bekannten, teilelektrostatischen Hybridlautsprecher der Inder.
Ebenfalls auf Hybridtechnik basieren die Produkte von Bel Canto (im Vertrieb von L' auditeur), wie z.B. der 845-bestückte Vollverstärker.
Reine Röhrenverstärker (in teils verbessertem Design) waren bei Cayin in großer Zahl zu entdecken, so die 9084D-Monos, der 734A-Vollverstärker, die Vorstufe SC-6LS, ... Aber auch die Endstufen von Brocksieper hätten nach meinem Eindruck nicht nur wirkungsgradstarke Lautsprecher, sondern auch stärkere Beachtung verdient.
Ansonsten spannt sich das Spektrum zwischen etwa den Klimo "Beltaine" (bei CD Konzertmöbel im Vertrieb), die zu überzeugen wußten, über die recht martialisch wirkenden Endstufen von KR Enterprise (bei Audioplan) bis zu den von manchen ‚Gläubigen' beinahe kultisch verehrten Shindo-Verstärkern im Vertrieb von Keith Aschenbrenners Auditorium 23.
Die gewaltigen, ganz anders orientierten "solid state"-Kraftwerke von Boulder wußten bei Knopf bereits durch ihre schiere Physis zu beeindrucken - was sie an kritischen Lautsprechern zu leisten vermögen, ließ sich erahnen.
Daß allerdings eine aus dem Röhrensektor bekannte Firma wie Conrad Johnson (bei HGP) unter dem Namen "Sonographe" im Transistorlager kräftig mitmischen würde, hatte ich angesichts der starken Lebenszeichen der Röhrenzunft nicht unbedingt erwartet.
Neues gibt's ebenfalls von Samuel Johnson Audio. Die mit einer interessant-angenehmen Optik versehenen Geräte versprechen kompromisslose Musikwiedergabe - ein edles Ansinnen...
Im Sektor Vollverstärker spielen die Kreationen von Rolf Gemein schon lange eine gewichtige Rolle. Doch mit dem "Kraftwerk" hat sich der Mastermind von Symphonic Line eine erneute Steigerung zu den bisherigen Modellen einfallen lassen. Der erste Eindruck: Heftig...
Tja, und wenn's um preisgünstige Vollverstärker geht, führt eigentlich kein Weg an Creek vorbei. So habe ich keinerlei Zweifel, daß auch der beim Creek-Vertrieb (Input Audio) zu findende 5350/SE, der Nachfolger des bekannten 5250/SE, seine Freunde finden wird.
Lautsprecherseitiges
Eine der auffallendsten Erscheinungen war das große Martion-Hornsystem im Expolinear-Raum. Druckvoll und dynamisch - und trotz verspiegeltem Baßhorn kein Weichei- oder gar Turnbeutelverlierer-Speaker.
Größenmäßig im krassen Gegensatz dazu stehen die mit bescheidenen Abmessungen versehenen Speaker "Filiola" von Audio consequent aus Bad Hersfeld. Bemerkenswert, wie wacker sich die Kleinen selbst bei kritischem Material schlugen. Interessant wirkten auch die neue "Theben"-LS-Serie von Ingo Hansen.
Ebenfalls nicht ihr volles Potential entfalten könnend, aber dennoch recht frei und gelöst wirkten die Magnetostaten von Magnepan. Flächenstrahler in einem solchen Raum - na ja. Aber dennoch...
Ein ansprechendes Klangbild lieferten auch die Lautsprecher von Helmut Brinkmann, angetrieben von hauseigener Elektronik und der neuen Laufwerk- ("Doppel")/Tonarm-/Tonabnehmer- (Brinkmann-EMT) Kombination, ab. Das Dreiwegesystem arbeitet dabei mit einem Bändchen im Hochton- und Görlich-Chassis im Mittel- bzw. Tieftonbereich.
Nicht gerade durch schiere Größe, sondern durch ausgewogene Klangeigenschaften fielen mir die Modelle von Totem Acoustic (Vertrieb: Joenit (Belgien)) auf. Daß der aus Neugier mitgenommene Prospekt nicht unbedingt mit übertriebener Bescheidenheit glänzt, dafür aber recht unterhaltsam gemacht ist, habe ich erst später entdeckt.
Sonstiges
Erfreulich fand ich, daß eine Firma wie Stax (vertreten durch Hans W. Steickart) wieder auf der High End zugegen war. Schließlich gehören auch Kopfhörer zum HiFi-Leben!
In Sachen Kabel fand ich die Vorführung der Flatline-Kabel bei Connect Audio sehr aufschlußreich: Wer noch immer geglaubt haben sollte, daß alle Kabel gleich klingen - oder daß bestenfalls winzige Unterschiede existieren - konnte/mußte sich hier eindeutig vom Gegenteil überzeugen lassen.
Zu guter Letzt wäre da das Interchange System von WBT zu nennen, das das problemlose Wechseln von WBT-Bananas zu entsprechenden Kabelschuhen (spades) und vice versa erlaubt. Wer häufiger Verstärker und/oder Boxen wechselt/wechseln muß, wird diese Idee zu schätzen wissen.
Abschließendes
Die Frage "Same procedure as last year?" möchte ich alles in allem nicht so einfach mit "Same procedure as every year!" beantworten. Denn:
Anstrengende Tage in Gravenbruch waren es mal wieder, keine Frage. Doch sowohl der trotz der Hitze bemerkenswert gute Besucherzuspruch als auch die überwiegend recht ordentliche bis teilweise erstaunlich gute Klangqualität des Gebotenen stimmen mich optimistisch. Weniger Revolution, mehr Evolution war diesmal von Herstellerseite angesagt - auch das ein erfreulicher Trend. Außerdem wurden viele Vorführungen mit der guten alten LP bestritten - was für die Lebendigkeit des Mediums spricht. Ebenso erfreulich, auch und gerade für's (männliche) Auge, war die Anwesenheit einiger attraktiver Damen. Denn erstens ist High End keineswegs ein reines Männerthema (jedenfalls sollte es dies nicht sein) - und zweitens lockert weiblicher Charme die ansonsten gelegentlich recht trockene Atmosphäre einer solchen Messe doch erheblich auf (Waren Sie z.B. mal in Raum 331?). Das wiederum kann einem solchen Event nur guttun. Ein bißchen mehr Lockerheit, ein bißchen mehr unverkrampfter Umgang mit sich selbst und dem Thema Musik bzw. Musikwiedergabe kann nun wirklich nicht schaden. Schließlich soll Musik auch Lebensfreude und -qualität reflektieren, ja, Emotionen vermitteln - was gewiß kein geringer Anspruch ist.
A propos Anspruch: Den Anspruch auf Vollständigkeit erhebe ich auch in diesem Jahr keineswegs. Aber eventuell ist es mir ja doch gelungen, Ihnen einen groben Überblick über die High End 2000 zu vermitteln. Vielleicht habe ich Ihre diesbezüglichen Erwartungen ja erfüllen können. Es sollte mich freuen.

WV

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